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Brigitte Timmer, Leiterin des Familienunterstützenden Dienstes, geht in den Ruhestand:Abschied einer Institution

41 Jahre ist es her, dass Brigitte Timmer im Alter von 23 Jahren vor dem damaligen Caritas-Geschäftsführer Bernhard Herdering saß und schwitzte. Nicht nur, weil es an dem Tag ziemlich heiß war, sondern auch, weil es um ihre berufliche Zukunft ging. Sie muss einen guten Eindruck hinterlassen haben, denn seit 1983 ist sie beim Caritasverband Ahaus-Vreden beschäftigt. Am 30. Juni endet diese Zeit. Brigitte Timmer geht mit 64 Jahren in den Ruhestand. Dazu gibt es – wie immer von ihr – klare Worte: „Ich habe 45 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt. Jetzt ist Schluss.“
Brigitte Timmer, Leiterin des Familienunterstützenden Dienstes, geht Ende Juni nach 45 Berufsjahren in den Ruhestand.
Datum:
24. Juni 2024
Von:
Christian Bödding

Eine Institution geht. Darf man Brigitte Timmer als solche bezeichnen? Man darf. Natürlich. Sie ist sprichwörtlich bekannt wie der bunte Hund. „Ich habe nie auf einem Stuhl geklebt. Ich war in so vielen Geschäftsbereichen des Caritasverbandes unterwegs“, erklärt sie. „Familie und Beratung, Pflege und Gesundheit, Eingliederungshilfe, beim Caritas Bildungswerk als Referentin. Ich habe alle Bereiche kennengelernt.“ Fast alle. „Nur in der stationären Altenpflege und in der Geschäftsstelle war ich nicht.“

Ausbildung zur Heimerzieherin

Das Berufsleben von Brigitte Timmer begann nach dem Realschulabschluss und dem Fachabitur mit der Ausbildung zur Heimerzieherin an der Liebfrauenschule in Coesfeld. „Man konnte damals wählen zwischen Heilerziehung, Kindergarten oder Heimerziehung“. Sie entschied sich für Letzteres. Nach dem Anerkennungsjahr arbeitete sie in einem Kinderdorf des Caritasverbandes in Bottrop. „Ich hätte dort im Haupthaus wohnen können, aber das wollte ich nicht. Ich wollte eine eigene Wohnung.“ 

Die Eltern fanden den Umzugswunsch ihrer Tochter exotisch. Brigitte Timmers Kindheit und Jugend war dominiert von der ländlichen Osterwicker Umgebung. Sie wuchs mit mehreren Geschwistern auf einem Bauernhof auf, war eingespannt in die Hofarbeit und die Landwirtschaft. Doch Brigitte setzte sich durch. Ihr Vater brachte ihr einen alten Wohnzimmerschrank für die neue Wohnung mit dem Trecker nach Bottrop und sagte ihr, sie würde es dort höchstens zwei Jahre aushalten und dann wieder nach Hause kommen. So war es dann auch. „Heute denke ich oft, meine Eltern hatten schon Recht in vielen Dingen. Aber ich habe es damals nicht geglaubt.“

Unterwegs mit dem VW Käfer

Heute erinnert sich Brigitte Timmer an die Bottroper Episode als eine spannende Zeit. Als sie noch mit ihrem metallic-bronzefarbenen VW Käfer über Land ins Ruhrgebiet düste, die A31 gab es noch nicht. „Aber Bottrop war nicht mein Zuhause. Mein Zuhause war da, wo mein Elternhaus war und wo mein Mann war. Da musste ich einfach wieder hin.“ Der Liebe wegen ging es zurück ins Münsterland. 1981 heiratete Brigitte Timmer und zog wieder nach Osterwick. Ihre nächste berufliche Station war die Arbeit als Erzieherin in einem Privathaushalt in Billerbeck. „Da war ich todunglücklich.“ Sie suchte eine neue Herausforderung – und fand sie 1983 beim Caritasverband Ahaus-Vreden in der Familienpflege.

Hermann-Josef Wagner, damals Leiter der sozialpädagogischen Familienhilfe (heute Ambulante Flexible Erziehungshilfe), baute die Familienpflege gerade auf. Nach einer Fortbildung im Caritas Bildungswerk war Brigitte Timmer Teil des multiprofessionellen Teams. Relativ schnell folgte der Wechsel von der Familienpflege in die sozialpädagogische Familienhilfe. Im Kinderdorf hatte sie bis dato im Beruf vor allem mit Kindern zu tun. Nun lernte sie viele verschiedene Familien im Altkreis Ahaus kennen und sah die Kinder im familiären Umfeld. Mal ging es darum, eine Herausnahme der Kinder zu verhindern, mal darum, sie in die Familie zurückzuführen. „Das war eine anstrengende Arbeit. Wenn ich heute zurückblicke, wie ich mit 23 Jahren in die Familien gegangen bin und ihnen erzählt habe, wie sie es leichter haben können…man wurde nicht immer gemocht.“

Job-Sharing

Die nächste berufliche Wendung hatte sie erneut einem Treffen mit Bernhard Herdering zu verdanken. „Das war 1990, nach einer Dienstbesprechung im Haus der Beratung in Ahaus. Im Vorbeigehen sagte er zu mir: „Frau Timmer, wo ich Sie gerade sehe. Die Leitung der Familienpflege ist vakant. Das könnten Sie doch wohl übernehmen.“ Brigitte Timmer konnte und wollte – aber als Mutter nicht Vollzeit. Sie fragte ihre Kollegin Gerlinde Schnatmann-David, ob man nicht als Leitungs-Duo antreten könne. 

Zu der Zeit war Job-Sharing beim Caritasverband so außergewöhnlich, dass die beiden Frauen ihr Konzept dem damaligen Caritasvorstand (vergleichbar mit dem heutigen Caritasrat) vorstellen mussten. „Wir saßen vor lauter Männern und haben alles bis in Detail erklärt.“ Vom Vorstand gab es das Okay und die Familienpflege mit damals etwa 20 festangestellten Familienpflegerinnen hatte eine neue Doppelspitze. Angegliedert an das Team der Ambulanten Pflege machte Brigitte Timmer die Arbeit viel Spaß. „Aber es war klar, dass die Familienpflege ein Bereich ist, der nicht refinanziert wird. Die Krankenkassen stellten sich ziemlich an, die Personalkosten zu übernehmen.“ Parallel erhielt das Duo Timmer/Schnatmann-David den Auftrag, mit Hilfe von „Familie in Not“ sogenannte Mobile Soziale Dienste (MSD) in Pfarrgemeinden im Einzugsbereich des Caritasverbandes Ahaus-Vreden zu installieren. „Es gab ja noch keine Pflegeversicherung. Es ging darum, dass Mütter im Krankheitsfall Ansprechpersonen hatten, dass sie im Bedarfsfall entlastet wurden.“
Im Februar 1997 – Brigitte Timmer hatte Elternzeit genommen – kündigte sie ihre Rückkehr in den Beruf für den November gleichen Jahres an. Es muss für die Kollegen eine Überraschung gewesen sein. „Man sagte mir: Wir wissen noch gar nicht, wohin mit dir. Ich sagte: Ihr habt ja noch ein paar Monate Zeit. Aber ich komme auf jeden Fall wieder!“  So war es auch. Die Frage des Arbeitsplatzes war ebenfalls geklärt. „Damals gab es Fördermittel vom Land für den Aufbau eines Familienunterstützenden Dienstes. Es hieß, der Geschäftsbereich, der die Zuschüsse bekommt, der muss auch Brigitte Timmer übernehmen.“ Michael Brinkmöller, damals Leiter des Bereichs Pflege und Gesundheit, übernahm beides. 

Aufbau des FUD

Zu Brigitte Timmers Aufgaben gehörten der Aufbau eines Mobilen Sozialen Dienstes für Heek/Legden/Schöppingen und der Aufbau des Familienunterstützenden Dienstes (FUD). Sie zog in ein Büro in Heek und kümmerte sich für den FUD darum, niedrigschwellige Unterstützungs- und Hilfsangebote für Menschen mit Beeinträchtigung aufzubauen. „Das war damals eine vage Ansage. Wir bildeten über den Diözesancaritasverband einen Arbeitskreis und besprachen, was man überhaupt machen kann.“ 

Gleichzeitig baute der damalige Geschäftsbereich Behindertenhilfe, jetzt Eingliederungshilfe, einen von der Aktion Mensch geförderten FUD mit Betreuungsgruppen für interne Bewohner und externe Interessenten auf. 2007 wurden die Angebote zusammengelegt und Brigitte Timmer wechselte vom Bereich Pflege und Gesundheit in die Eingliederungshilfe. Es entstand der heutige FUD mit Sitz im alten Bischof-Tenhumberg-Haus an der Hindenburgallee in Ahaus. Sie traf auf vier engagierte Kolleginnen, die Beratung und Betreuungsangebote für Menschen mit Beeinträchtigung organisierten. Es wuchs zusammen, was zusammengehört und es entstand ein vielseitiger FUD, der seine Angebote immer wieder neu auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ausgerichtet hat. „Wir betreuten damals mit ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gut 40 Familien.“  Eingebunden in die Arbeit waren der Ahauser und der Heeker Eltern- und Freundeskreis für Menschen mit Behinderung.

Der FUD wuchs und mit ihm das Angebot. Es gab persönliche Assistenzleistungen, Gruppenangebote für Kinder und Jugendliche, Schulassistenz und vieles mehr. Aus Platzgründen folgte der Umzug von der Hindenburgallee ins alte Kreishaus an der Bahnhofstraße, Büroräume gab es für den FUD an der Friedrichstraße 13 in Epe. Dort war die Caritas-Sozialstation von der Friedrichstraße an den Hindenburgring gezogen. 

"Als wir nach Epe zogen hieß es, einer muss sich da den Hut aufsetzen.“ Doch wer? Brigitte Timmer sagte damals: „Als Teamsprecherin und wenn es um den Rapport gehen, mache ich das.“ Der FUD etablierte sich, Brigitte Timmer wurde Dienststellenleiterin. „Bis 2019 hatten wir das Gefühl. Es läuft gut. Dann kam Corona und alles musste heruntergefahren werden.“ Von 130 Ehrenamtlichen ging es runter auf 40 Ehrenamtliche. „2020 hatten wir ein bisschen das Gefühl, wir fangen wieder bei null an.“ Heute, 2024, hat sich der FUD von den Beschränkungen durch die Pandemie erholt. 80 ehrenamtlich Mitarbeitende zählt der Dienst aktuell, hinzu kommen sechs geringfügig Beschäftigte und acht hauptamtliche Kräfte. Brigitte Timmer ist davon die einzige mit einer Vollzeitstelle. Betreut werden um die 350 Familien.

"Ich mache noch ein bisschen mit"

Ihr Vollzeitjob endet offiziell am 30. Juni, „Ich bin eigentlich ein bisschen froh, jetzt in Rente zu gehen“, gibt sie zu. Wobei – von heute auf morgen geht sie nicht. Die Sommerferien stehen vor der Tür, FUD-Angebote der Tagesbetreuung. „Da mache ich noch ein bisschen mit.“ Zwischendurch bleibt sicher Zeit, auf 45 Berufsjahre zurückzublicken. Gab es Momente, in denen sie ihre Berufswahl bereut hat? „Nein“, antwortet sie. „Aber ich habe mir zwischendurch gedacht, wenn du studiert hättest, hättest du vielleicht mehr Selbstbewusstsein. So wie es heute gekommen ist, bin ich dankbar, dass ich mit einer Erzieher-Ausbildung heute hier sitze und mir der Caritasverband die Chance dazu gegeben hat. Ich habe Dinge organisiert und Leitungsaufgaben übernommen, die ich mir vorher gar nicht so zugetraut hätte, die ich aber konnte.“ Und: Hätte sie studiert, hätte sie ihre 45 Berufsjahre noch nicht zusammen und könnte noch nicht in den Ruhestand gehen. 

Also, alles richtiggemacht? „Wenn ich Fehler gemacht habe, waren sie doch immer für irgendetwas gut“, antwortet sie. Sicher habe sie manchmal Dinge falsch entschieden. „Aber im Nachhinein ist es doch richtig gekommen.“ Ihre Entscheidungen wechseln nun vom Beruflichen ins Private. Es bleibt Zeit für Hobbys, von denen Brigitte Timmer gar nicht so viele hat. Radfahren gehört dazu, die Pflege ihres Gartens ebenso. Sie wird Playstation spielen und soziale Kontakte pflegen. Brigitte Timmer weiß genau, wie sie die Dinge im Ruhestand angehen will: „Weniger mit Sinn und Verstand. Mehr Just for Fun. Und ich muss nicht mehr darüber nachdenken, wer der Kostenträger ist.“