Gronauer Beratungsstelle für zugewanderte Menschen aus Südosteuropa: Am Jahresende ist Schluss:Willkommenskultur: Land NRW setzt den Rotstift an
Seit Juni 2023 setzt sich die 29-jährige Sozialpädagogin mit großem Engagement für die sozialen und arbeitsmarktpolitischen Anliegen der wachsenden Zahl bulgarischer und rumänischer Einwohner in Gronau ein. Die Stadt Gronau und das NRW-Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration ermöglichten das Projekt bisher mit finanzieller Unterstützung und einer einjährigen Verlängerung. Der Caritasverband Ahaus-Vreden wurde mit dieser Aufgabe betraut. Doch nun ist Schluss: Die „Beratungsstelle für zugewanderte Menschen aus Südosteuropa“ kann nur noch bis zum 31. Dezember dieses Jahres weitergeführt werden. Eine erneute Verlängerung, sprich Finanzierung, wird durch das Land NRW nicht erfolgen.
Empfehlungen
Ende September hat Nevin Geveler im Integrationsrat der Stadt Gronau das letzte Mal über ihre Arbeit berichtet und ihre Abschlusspräsentation gehalten. „Das Publikum war ein bisschen irritiert, weil ich Empfehlungen gegeben habe, wie es in Zukunft weitergehen könnte.“ Auf die Frage einer Politikerin, was denn nun komme, konnte Geveler nur mit den Schultern zucken. Sie wird am 30. Dezember ihren Schreibtisch im Haus der Beratung an der Laubstiege räumen und voraussichtlich ab 2025 im Ausland tätig sein.
Was bleibt von ihrer Arbeit in der Beratungsstelle? Was konnte sie bewirken? „Ich glaube, dass es ein großer Mehrwert war, dass die Menschen überhaupt jemanden hatten, zu dem sie gehen konnten“, antwortet Nevin Geveler. „Jemand, der ihnen zuhört und sie mit ihren Anliegen an die richtigen Stellen weiterleitet. Früher oder später haben wir immer den richtigen Ansprechpartner gefunden. Das wird in Zukunft fehlen.“
Ob Fragen zur Krankenversicherung, zur Antragsstellung oder zur Arbeitsplatzsuche – Geveler stand den Betroffenen zur Seite, oft als Bindeglied zwischen Behörde und Betroffenen. Ihre Arbeit wurde zur Brücke, die Menschen mit multiplen Problemen und Herausforderungen miteinander verband und ihnen half, die bürokratischen Hürden im Alltag zu meistern. Verpuffen nun alle diese Bemühungen? „Das will ich nicht hoffen. Ich habe mein Herzblut in dieses Projekt gesteckt“, erklärt die 29-Jährige.
Wachsende Herausforderung
Mit – nach Angaben der Stadt – über 1.200 gemeldeten Zuwanderern aus Rumänien und Bulgarien (mit steigender Tendenz und weitaus höheren Dunkelziffern) steht Gronau vor einer wachsenden Herausforderung. Neben sozialen Fragen bereiten auch Themen wie Wohnungsknappheit und prekäre Wohnverhältnisse den Behörden Sorgen. So hat Nevin Geveler aus der Gronauer Bevölkerung immer wieder Hinweise auf improvisierte Unterkünfte wie Matratzenlager in Garagen oder Kellern erhalten. Dort würden dann Arbeitsmigranten untergebracht, die in den Niederlanden in der Fleischindustrie ausgebeutet werden, vermittelt von einigen Leiharbeitsfirmen aus Deutschland und den Niederlanden. Die Verleiher nutzen unter anderem Lücken im Melderecht.
„Die Stadt zeigt sich bemüht und das Problem ist erkannt,“ betont Geveler. Doch oft fehle der richtige Ansatz zur langfristigen Bekämpfung struktureller Probleme. Zuletzt war die NRW-Landesregierung im Oktober 2022 zusammen mit der niederländischen Regierung und einem Team des rumänischen Arbeitsschutzes in Gronau gegen ausbeuterische Leiharbeitsfirmen und Miethaie vorgegangen. 42 Wohnungen in fünf Immobilien wurden damals in der Herbertstraße unter die Lupe genommen.
Nicht jeder Arbeits- oder Wohnungsvermittler lässt sich gerne das Geschäft vermiesen. „Mir wurde privat geraten, mich bei manchen Sachen herauszuhalten“, berichtet sie. „Ich habe keinen juristischen Background, ich bin auch nicht die Polizei oder Mitarbeiterin eines Amtes. Das macht meine Arbeit nicht ganz ungefährlich.“ Nach dem ersten Zeitungsbericht über ihre Arbeit klingelte es in derselben Nacht mehrere Minuten lang Sturm an ihrer Wohnungstür. Ein Mann verlangte lautstark ein Gespräch. „Ich habe nicht geöffnet.“ Der Wohnungsdruck in Gronau werde weiter zunehmen, ist sich Nevin Geveler sicher. Das Geschäft mit horrend überteuerten Schlafgelegenheiten ebenso. „Nur wenige Osteuropäer ziehen wieder zurück in ihre Heimat.“ Dass in Rumänien der Mindestlohn-Stundensatz 3,99 Euro beträgt und in Bulgarien 2,85 Euro, sei zudem kein großer Anreiz.
Nevin Gevelers Kooperation mit einer Leiharbeitsfirma, die ein Mindest-Sprachniveau B1 als Voraussetzung für Arbeitsverhältnisse ansetzt, zeigt, wie sinnvoll präventive Arbeit sein kann, um nachhaltige Integrationschancen zu schaffen. „Der Firma ist wichtig, dass die Leute die Sicherheitsunterweisungen verstehen und danach arbeiten.“ Doch dies ist nur ein erster Schritt in einer Situation, die weitaus umfassender betrachtet werden müsste. „Nicht jeder Arbeitsmigrant hat das B1-Sprachniveau. Häufig geht es mehr ums Überleben. Die Menschen sitzen mit multiplen Problemen vor mir.“
Enttäuschung
Bei ihrer Abschlusspräsentation rief Geveler zu weiteren präventiven Maßnahmen auf, die Zuwanderern den Alltag erleichtern und vor allem langfristige Integration fördern. „Ein Antiziganismus- oder Antidiskriminierungsbeauftragter in der Stadtverwaltung wäre ein starkes Signal und eine echte Hilfe,“ erklärt sie. „Aber das kostet natürlich alles wieder Geld.“ Die Stadt Gronau ist finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet.
Nevin Geveler ist enttäuscht. Enttäuscht, dass ihre aufgebauten Netzwerke wohl nicht weiter gepflegt werden. Dass der Kampf gegen Vorurteile und für eine Willkommenskultur für Menschen aus Südosteuropa nach eineinhalb Jahren schon wieder endet. Was bleibt, wenn sie gegangen ist? „Wegweiser und Materialien auf Rumänisch und Bulgarisch“, antwortet Nevin Geveler ironisch. Vielleicht, das wünscht sie sich, vielleicht bleibt auch ein Funken Hoffnung. Ansonsten bleibt nur der Hinweis auf die Bemühungen der Strategischen Sozialplanerin Martina Witzig und auf die Euregio, dass die Situation der Südosteuropäer in Gronau auch künftig nicht aus dem Blick gerät.